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„Kommen zwei Schwule in eine Bar …“

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- Halt die Fresse!

Schwulenwitze sind nicht lustig. Das liegt nicht etwa daran, dass irgendwelche Gutmenschen willkürlich beschlossen haben, lustigen schwarzen Humor, der nun mal vor nichts Respekt hat, schlecht zu machen. Vielmehr hat es damit zu tun, dass sie deutlich mehr sind, als nur rücksichtslose Witze. Dasselbe gilt für ähnlich geartete Beleidigungen.

1. # Du behindertes Arschloch! #
„Warum ist es nicht einfach egal, wie ich Menschen bezeichne, die ich nicht mag?
Ich beleidige niemanden damit, außer die, die ich auch meine.“

Das liegt an dem Schema, nach dem alle wertenden Aussagen, die wir treffen, also auch Beleidigungen, aufgebaut sind.
Wertende Aussagen über Menschen, Dinge und Situationen erfolgen grundsätzlich durch die Zuschreibung von Attributen, die, je nach Wunsch, entweder positiv, oder negativ behaftet sind.
Menschen, die man beleidigen will, bezeichnet man mit Begriffen, die im Kontext des jeweiligen Umfeldes und der gesamten Gesellschaft als abwertend empfunden werden. Alles andere würde keinen Sinn machen, da die Wirkung der Beleidigung verpuffen würde.
Das hat neben der ersten, offensichtlichsten und natürlich erwünschten Auswirkung, nämlich, dass die betroffene Person sich beleidigt fühlt, auch noch andere.
Sprache und Kommunikation sind komplexe Angelegenheiten, die nie aus nur einer, sondern immer aus mindestens zwei, eher drei Ebenen bestehen.
(1) Das direkt Gesagte: a ist x.
(2) Die Intention – also die Absicht – und die zugrundegelegten Annahmen hinter dem Ausgedrückten:
Es wird eine als negativ empfundende Bezeichnung für a gesucht, die in x gefunden wird.
a soll durch x als „schlecht“ bezeichnet werden. Die stattfindendende Gleichsetzung zwischen
„schlecht“ und x führt zur dritten Ebene der Aussage:
(3) x ist „schlecht“.

In der Realität stehen hinter den verschiedenen Zuschreibungen, die wir mit x bezeichnen, meistens gesellschaftliche Gruppen von geringem Ansehen. Unliebsame Menschen oder Dinge werden beispielsweise als „schwul“, „behindert“, „asozial“, „spastisch“ oder „krank“ bezeichnet.

„Warum ist es problematisch, wenn ich solche Begriffe, die nun mal als Beleidigungen gelten, als solche benutze?“
Begriffe, wie die oben aufgeführten, sind nur beispielhaft genannt. Es existieren viele weitere, die auf dieselbe Weise wirken.
Jedes Mal, wenn wir sie benutzen, treffen wir, wie oben erklärt, neben Aussage (1) auch Aussage (3).
Am konkreten Beispiel betrachtet:
- „Gerhard ist echt behindert.“
beinhaltet aufgrund der offensichtlichen Absicht, Gerhard durch das Attribut behindert abzuwerten, immer auch
- „Wer behindert ist, ist scheiße.“

„In Ordnung. Wenn ich das so mache, dann sage ich mehr, als ich eigentlich sagen will. Aber das hat doch keine konkreten Auswirkungen und gegen Behinderte, Homosexuelle oder wen auch immer habe ich auch gar nichts. Wo ist das Problem dabei?“
Es handelt sich, wie oben schon gesagt, grundsätzlich um Gruppen, deren gesellschaftliches Ansehen gering ist. Nun ist es in der Realität so, dass dieses geringe Ansehen für die betroffenen Gruppen durchaus handfeste Auswirkungen hat. Sie sind – ganz abgesehen von direkten körperlichen Übergriffen, die regelmäßig stattfinden – täglich mit dem Bewusstsein konfrontiert, auf den unteren Stufen der gesellschaftlichen Achtungshierarchie zu stehen.
Durch Gebrauch der sie bezeichnenden Begriffe in Form von Nutzung zur Abwertung anderer transportieren wir ganz praktisch konkrete gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen täglich in unseren Aussagen und helfen so, ihr Bestehen zu zementieren. Wir nehmen also, indem wir uns so äußern, zumindest indirekt Einfluss auf die gesellschaftliche Situation beispielsweise Homosexueller, indem wir dazu beitragen, dass ihre Betrachtung als negativ, ihre Stellung in der Gesellschaft strukturell – und damit auch lebenspraktisch – bestehen bleibt. Dadurch, dass wir negative Stereotypen im Kleinen als festen Bestandteil unserer Kommunikation begreifen, sorgen wir dafür, dass gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen im Großen bestehen bleiben.
Wir nehmen für uns in Anspruch, dass es nicht vollkommen gleichgültig ist, was wir von uns geben. Daraus folgt auch, dass wir für die Dinge, die wir äußern, Verantwortung tragen müssen. Sich grundsätzlich mit „Ja, ich weiß. Aber ich habe ja auch gar nichts gegen x und es schadet ja jetzt niemand, wenn ich das so sage herauszureden, ist zu einfach.

2. # Treffen sich drei Schwule … #
„Was soll denn die Aufregung jetzt schon wieder, das war doch nur ein Witz! Wer keinen Sinn für schwarzen Humor hat, darf halt nicht zuhören.“
Genau wie andere Arten von Aussagen, sind auch Witze gut dazu geeignet, gesellschaftliche Stereotypen zu transportieren oder historisches und bestehendes Elend zu verharmlosen.
Witze, die beispielsweise auf Kosten Homosexueller gemacht werden, wie auch solche über Sinti & Roma, kranke oder behinderte Menschen und andere, tragen auf dieselbe Weise zur Zementierung des gesellschaftlichen Bildes dieser Gruppen – und damit zu ihrer Stellung und Situation – bei, wie Beleidigungen, denen sie als Komponente x dienen.
Sie greifen bestehende Ausgrenzungsmechanismen in der Gesellschaft auf. In Hinsicht auf die Struktur so gearteter Witze ist es nicht möglich, eine Pointe zu bilden, die nicht auf negativen Eigenschaften fußt, die einer beliebigen gesellschaftlichen Gruppe zugeschrieben werden. Das scheint nicht unbedingt problematisch, wenn diese Zuschreibung von Eigenschaften nicht auch in der Realität stattfindet und für die betroffene Gruppe somit keine negativen Auswirkungen hat. Witze über männliche, weiße, heterosexuelle Europäer stellen in der Theorie für diese kaum eine Gefahr dar, da nicht davon auszugehen ist, dass ihre gesellschaftliche Position in Gefahr ist. Sie sind keine Minderheit, sehen sich keinen relevanten Nachteilen und Problemen aufgrund ihnen zugeschriebener Eigenschaften ausgesetzt und können durch Alltägliches, wie Witze, wenig Schaden nehmen. So geartete Witze sind in der Praxis allerdings rar gesäht. Problematisch wird es, wenn es sich um Gesellschaftsgruppen handelt, bei denen diese Zuschreibung von Eigenschaften auch in der Realität stattfindet und für sie zu Schaden führt. Witze dieser Art existieren wie Sand am Meer. Sie sind schnell erdacht und führen zielsicher zum Lacherfolg.
Die Begründung hierfür ist einfach: Sie beziehen sich auf Stereotypen, die in der Gesellschaft verankert und damit allgegenwärtig und allen bekannt sind.
Die hier bestehende Wechselwirkung ist dieselbe, wie im oben behandelten Bereich der Beleidigungen:
Die aufgegriffenen Stereotypen werden durch ihren Weitertransport im gebräuchlichen Humor gefestigt und im Bewusstsein verankert.
Aus diesem Grund sind solche Witze nichts anderes, als auf die gleiche Art und Weise funktionierende Beleidigungen. Ihr Ursprung und ihre Daseinsberechtigung sind die bestehenden gesellschaftlichen Schemata.

3. # Also? #
Es ist verhältnismäßig einfach, sich bewusst zu machen, was in unseren alltäglichen Aussagen sogut wie immer mitschwingt, nämlich Wertungen.
Wenn man für sich der Meinung ist, niemand zu sein, der ein Problem mit beispielsweise Homosexuellen, Sinti & Roma, behinderten Menschen und vielen Anderen, die als Abwertungsinstrument etc. im gängigen Sprachgebrauch missbraucht werden, hat, ist es ohne weiteres möglich, im Bereich der eigenen Aussagen ein Minimum an Verantwortung zu übernehmen und darauf zu achten, dazu nicht weiter beizutragen.
Wenn man für sich der Meinung ist, dass diese Abwertung und die damit verbundenen Ausgrenzungsmechanismen in der Gesellschaftspraxis gut und richtig sind, ändert unter dem Label Political correctness zwanghaft neutral gehaltene Ausdrucksweise daran wenig.
Leute, denen es so geht, hätten sich aber schon viel früher von diesem Blog verpissen sollen.

Zur Klärung:
Es ging hier weder um hochtheoretische sprachphilosophische Gedanken, noch um tiefgehende Humorkritik nach Adorno oder ähnliches.
Genausowenig handelt es sich um die Forderung, Konzepten in Richtung Political correctness o.ä. mehr Beachtung zu schenken.
Ziel war vielmehr, auf so einfache und verständliche Art und Weise, wie möglich und in Form eines Textes, dessen Länge ihn nicht von vornherein für viele disqualifiziert, Grundsätze des Themenbereichs Sprachgebrauch zu vermitteln.


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